· 

A Trip Down Route 101

Wie alt man geworden ist, merk man oft an Produkten der Popkultur, die heute als "Klassiker" oder "Oldies" gehandelt werden, deren Erstveröffentlichung man aber selbst miterlebt hat. So zum Beispiel "alte" Filme, bei denen die erste Reaktion ist, "ach ja, den habe ich damals im Kino gesehen (als er neu war)". Noch schärfer schneidet das Schwert der Erinnerung aber oft, wenn man theoretisch dabei hätte sein können, aber es aus irgendeinem Grunde verpasst hat. Das gilt für Alben, die man sich erst viel später zur Komplettierung der Sammlung zugelegt hat, besonders aber für Filme, die man dann eben nicht auf der großen Leinwand sah. In Zeiten ohne Streamingdienste und Massen-DVD-Veröffentlichungen, wie die Videothek um die Ecke (nahezu) die einzige erreichbare Form von Home Video Entertainment war, konnte es lange dauern, bis man den Streifen dann noch noch zu sehen bekam.

 

Gut 30 Jahre sind ins Land gegangen, seit Depeche Mode ihre Music for the Masses Tour beendeten und D. A. Pennebaker das Ganze als "101" in einem Documentary festhielt. 

Ich hätte "101" damals wohl im Kino sehen können. Und, da bin ich mir sicher, interessiert hätte er mich. Ich bin vielleicht kein echter Devotee, aber ich liebe die Musik der britischen Jungs über alles (vor allem, natürlich, die alten Alben), und ich hatte mir just im Jahr der Produktion, 1988, meine erste (Maxi-) Single der Band gekauft - Never Let Me Down Again (auf orangenem Vinyl). Zuvor besaß ich bereits Black Celebration, in meinen Ohren bis heute wohl ihr bestes Album, allerdings nur auf MC, da ich keinen eigenen Plattenspieler besaß. Die Music for the Masses CD schenkte mir meine Mutter zu Weihnachten. 

 

Warum ich nicht in "101" war, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich hatte es sich einfach nicht ergeben. Vielleicht kam er allerdings auch nie in die deutschen Kinos. Ich konnte beine einer schnellen Recherche jedenfalls kein VÖ-Datum für Deutschland finden. In dem Fall ist das wohl eine dieser falschen, mit anderen Memory-Schnipseln verquickten Erinnerungen, aus denen sich unser Vergangenheitsgebäude konstruiert, die Sebastian vom Retro-Podcats Rückspultaste hier viel treffender beschrieben hat, als ich das könnte: Der finstre Zauber der Erinnerung

 

Wie dem auch sei, jedenfalls ist, was in meinem Hinterkopf als eine noch recht aktuelle Tour-Doku einer der wichtigsten Bands aller Zeiten abgespeichert ist, nach drei Jahrzehnten zu einer Zeitkapsel über eine vergangene Ära der Popmusik geworden. Die ich bis heute nicht geöffnet hatte. Da ich mittlerweile bedacht bin, solche Lücken zu schließen, habe ich mir die DVD-Ausgabe besorgt und mir den 120-Minuten-Trip durch die USA angeschaut. 

 

Die Doku ist angenehm zu schauen, wenn auch oberflächlich, wirkt aber im Großen und Ganzen nicht allzu schlimm gealtert. Das Bild ist minimal verrauscht (altersbedingt ok), der Ton einwandfrei, wann immer Musik ins Spiel kommt. In der Rückschau ist das Spannendste die Gruppe Fans, die auserkoren wurde, die Band in einem eigenen Tourbus zu begleiten. Das gemahnt sehr an die - und gilt wohl auch als ein Ausgangspunkt der - "Reality TV" Welle, ist aber zum Glück weitaus weniger voyeuristisch als spätere Formate dieses Genres.

 

Aber was machen die Bilder mit mir? Ich bin etwas jünger als die Protagonisten, aber alt genug, um mich ein wenig wiederzuerkennen. Die viel belachten Klamotten und Frisuren der 80er wirken natürlich etwas aus der Zeit gefallen, aber weit weniger albern, wenn sie eben "echt" sind. Auf mindestens eins der Mädchen, hätte ich damals einen Mega-"Crush" gehabt, vermutlich auf alle, wechselnd nach Jahreszeit. Und beim Tanzen bewegen sich die Leute auf eine Weise, die ich nachvollziehen, wenn vielleicht auch nicht mehr glaubhaft reproduzieren kann. 

 

Über die Musik selbst müssen wir an dieser Stelle eigentlich nicht reden. Depeche Mode sind eine Klasse für sich, außer jeder Konkurrenz. Viele Songs, obwohl tief verwurzelt in den 80ern und unvergleichlich stilprägend für dieses Jahrzehnt, sind doch auf eine Weise zeitlos, die schwer zu definieren ist. Ich höre und sehe die Jungs, seit 1995 leider zum Trio geschrumpft, heute noch gern, auch wenn die neuen Alben bestenfalls nett sind, aber weitestgehend belanglos bleiben. 

 

Lets celebrate the fact that we've seen the back of another black day!

 

Jetzt habe ich Bock auf Tanzen! *googelt die nächste DM-Party in der Nähe...*